1945: Gegen Kriegsende


Der Kaiser von Schalke


Meiner Mutter Witwenrente war zu klein, um davon leben zu können. Deshalb plante sie, nach Kriegsende die meisten unserer 6 Zimmer in Schalke möbliert zu vermieten. Und dazu brauchte sie dringend unsere Möbel, soweit sie noch existierten. Wir galten zwar nur als "Teil-Geschädigte" (Bescheinigung oben, mit Androhung der TODESSTRAFE bei unrichtigen Angaben!), aber eigentlich war das Haus eine Ruine.

 

Ohne Fensterscheiben, das Dach abgedeckt (der Regen floss durchs Treppenhaus), der Dachstuhl halbkaputt, alle Fenster und Türen geborsten und zersplittert, manche Wände zusammengesackt, andere ohne Mauerbewurf. Aus unserem Wohnzimmer hatten wir einen freien Ausblick bis zum Schalker Markt, denn auch eine Außenwand war eingestürzt. Der Deckenputz war überall abgefallen, über das Holzwerk dahinter huschten Mäuse und sahen uns neugierig zu. 

Unser Hausrat war in alle Winde zerstreut, zumal wir immer wieder wochenlang nicht zuhause sondern in Arnsberg gelebt hatten. Ohne Wasser, Gas und Strom waren wir sowieso. Die nächste Wasserzapfstelle lag 1 km entfernt, an der Schalker Post. In langen Schlangen musste man sich anstellen und warten.

 Aber das alles würde zu schaffen sein, nach und nach. Es war ein Wunder, dass unser Haus den Krieg überstanden hatte! Weit und breit nur Trümmer, so dass man in die Ferne blicken konnte, über ganz Gelsenkirchen hinweg. Die wenigen Menschen in Schalke lebten in Kellerräumen oder Nissenhütten. Vorübergehende Leute meinten erstaunt und neidvoll, wenn sie das einsame Haus, dieses marode Gemäuer sahen: "Nanu, hier wohnt wohl der Kaiser von Schalke!?"


Foto Trümmer im Ruhrgebiet aus: Jörg Friedrich, Brandstätten, Propyläen Verlag


< Schreibtisch

Kommandantur >

| Titelseite dieser Geschichte | Titelseite aller Geschichten |