1943-45: In der Fremde


 

Er wird den Schornstein umschmeißen!

Um dem Bombenterror im Ruhrgebiet zu entgehen, flohen wir, wie schon erwähnt, nach Arnsberg an der Ruhr im Sauerland, etwa 100 km von Gelsenkirchen entfernt. Onkel Karl, ein Bruder meiner Mutter, und Tante Änne mit ihrem kleinen Sohn Kai, genannt Heinzi, wohnten dort. Sie halfen uns, ein Mansarden-Zimmer im Dachgeschoss ihres Nachbarhauses zu finden, das wir mit einem kleinen Waschküchen-Ofen heizten, auf dem wir auch unser Essen kochten. 

Aber wir hatten schlecht gepokert: kurz nach unserer Ankunft wurden deutsche Soldaten in Arnsbergs Kasernen einquartiert. Außerdem gab es da einen strategisch wichtigen Eisenbahn-Viadukt über das Ruhrtal, eine der letzten Nachschublinien zur Westfront. 

So begann auch hier der Bombenterror, und wir mussten bei den Angriffen in einem Felsenkeller Zuflucht suchen, in dem in besseren Zeiten Eisblöcke und Bierfässer gelagert wurden. Er lag zu unserem Unglück nur einen Steinwurf von der gefährlichen Talbrücke entfernt. 


Foto: Beim Einmarsch deutscher Soldaten. Sie werden in Arnsberger Kasernen einquartiert. Wir alle machen sorgenvolle Gesichter, mit Recht, wie sich herausstellte.


Da gab es auch noch den Eisenbahntunnel am Ende des Viadukts. Er galt als absolut bombensicher. Viele Menschen suchten hier Schutz und kamen dennoch um. Onkel Karl verkroch sich übrigens während der Angriffe immer in einer der vielen kleinen Felsenhöhlen im Wald, weil er die Enge in öffentlichen Bunkern wegen seiner Klaustrophobie nicht ertrug. 

Die Angriffe wurden von Tag zu Tag bedrohlicher, dass wir lieber morgens früh mit kärglichem Proviant in den Arnsberger Wald zogen, um dort in den tiefen Tann unterzutauchen und uns sicherer zu fühlen als im Bunker.

Foto: Der Arnsberger Viadukt über das Ruhrtal 


US-Tiefflieger P51 Mustang gegen oberfränkisches Dorf,
Foto aus: Jörg Friedrich, Brandstätten, Propyläen Verlag

Auf dem Wege in den Wald musste man höllisch wachsam auf Tiefflieger achten. Sie konnten plötzlich auftauchen, hinter einer Bergkette, zwischen den Baumwipfeln, über dem Dachfirst, wie aus dem Nichts. Die wendigen kleinen Flugzeuge konnten bei niedrigster Flughöhe - er wird den Schornstein umschmeißen! dachten wir manchmal - regelrecht über Hindernisse hüpfen. 

Wenn man sie hörte, wenn der Flugzeugmotor brummte oder gar aufheulte, half nur noch eines: sich auf den Erdboden, an eine Mauer, in den Graben, an den Feldrain, unter Gebüsch zu werfen und bewegungslos auszuharren, sosehr man in Panik auch hätte weglaufen mögen. Die Flieger schossen auf alles, was sich bewegte, egal ob auf Soldaten oder Frauen mit Kindern oder Alte, oder auf Kühe oder Schafe auf der Weide. Das wurden endlos lange bange angstzitternde Minuten! Heute noch jagt mir das Motorengedröhn eines Flugzeugs Furcht ein.



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