1940-45: Bombenterror


 

Die Küche im Hof


 

In Schalke wohnten wir mit 10 Familien in einem geräumigen 5stöckigen Mietshaus von 1910, einem Doppelhaus mit 2 Hausnummern: Schalker Str. 163/165. Im Erdgeschoss waren eine Drogerie und ein Tapetengeschäft. Durch eine Toreinfahrt konnte man in den Hof des Hauses fahren. 

An seiner Rückseite, dem Wohnhaus gegenüber, in dem wir wohnten, stand ein 3stöckiges Gebäude mit einem Flachdach, darauf ein 6 m hoher runder Fabrikschornstein aus roten Mauerziegeln. Dort hatte in früheren Zeiten eine Wäscherei gearbeitet. - Übrigens: An diesem Schornstein flatterte nach einem Luftminen-Angriff auf Schalke, bei dem alles mal wieder zu Bruch ging, eine violett-braun-weißgestreifte Schlafanzughose meines Vaters. - 

Im Krieg war im Hof in dem Wäschereigebäude eine "Gemeinschaftsküche", die ähnlich wie eine Kantine, das Essen für viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter der Stadt kochte. Ich konnte aus unserem Küchenfenster im 2. Stock beobachten, wie kleine Lieferwagen durch den Torweg fuhren, aus denen Kisten oder Berge von Gemüse ausgeladen oder einfach ausgekippt wurden: Weißkohl, Rotkohl, Steckrüben, Kartoffeln . . . Oder Gefangene schütteten es kurzerhand im Haus auf den Fußboden: Hügel von getrocknetem Majoran, Kümmel und Gewürzen. 

Foto: Unbemerkt fotografiert. Die Gemeinschaftsküche im Hof, der Koch hält gerade einen Plausch.

 


Ein "Herrenmensch", etwas debil


 

 

 

 

Foto: Die Gemeinschaftsküche. Man kann links oben noch die Aufschrift lesen. 

 


Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen aus Russland und der Ukraine, - dem Land, wo "Das große Tor von Kiew" steht und wo 1986 der Reaktorunfall in Tschernobyl geschehen sollte, - putzten das Gemüse, schleppten Kisten und Kessel, spülten Geschirr, wischten die Fußböden und wurden vom Chef der Großküche dabei lauthals angebrüllt und manchmal auch brutal geprügelt. 

Ein massiger, hünenhafter großmäuliger Deutscher, der Gastwirt war. Er hatte in Alt-Gelsenkirchen ein Tanzlokal, wo Urlauber und junge Leute gern saßen und sich Musik anhörten. (dazu auch "Verhalten in Lokalen", ) Denn nicht immer durfte das Tanzbein geschwungen werden, nur wenn Deutschland auf dem Vormarsch war. Nach Stalingrad (1943) gab es dann ein totales Verbot der Tanzerei. 

 


Dieser ungeschlachte Wirt trug ein wehrmachtsähnliches olivgrünes Outfit und schwarze Gamaschen-Stiefel, bei denen der Schuh und der Stiefelschaft nicht verbunden sind. Er rannte mit seltsam schaukelnden Schritten hin und her, schimpfte und donnerte und kostete seine Macht über "die slawischen Untermenschen" aus. Offensichtlich hielt er sich für einen "Herrenmenschen", und machte dabei einen recht debilen Eindruck. 

War das Essen fertig gekocht, - eigentlich roch es immer wie Kappes-Suppe (kapusta) und sah auch so aus, weißlich-graue Brühe mit Gemüsebrocken und Kartoffeln darin, - wurde es in 1 m hohe stabile Metall-Kanister gefüllt, mit Henkeln daran zum Tragen, mit verschraubbaren Deckeln verschlossen und auf den Lieferwagen geladen, um zu den verschiedenen Gefangenenlagern gefahren zu werden. Der zurückbleibende Abfall und die Überreste verbreiteten stetig einen penetranten Gestank im Hof. 

 


Die gemüseputzenden Frauen bei uns im Hof waren nette, robuste Mädchen aus Russland (das heutige Russland, die Ukraine und Weißrussland hießen damals alle 3 zusammen für uns "Russland"). Sie mussten schwer arbeiten und wurden im 1. Stock über der Großküche untergebracht. 

Als sie zum erstenmal die Treppe hochsteigen wollten, waren sie ratlos. Ich sah aus unserem Küchenfenster, wie sie das Problem bewältigten: auf allen Vieren! - Einige von ihnen wurden später in "kinderreiche" Familien (4 und mehr Kinder) geschickt, als Hilfe im Haushalt und als Kinderfrau für die Kleinen.

 Fassungslos stellte eine Hausfrau am ersten Abend fest: das Mädchen schlief auf dem Fußboden vor der Tür des Kinderzimmers. Das Bett blieb unbenutzt. Es dauerte einige Tage lang, die Russin vom Komfort eines weichen Nachtlagers zu überzeugen.


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