1940-45: Bombenterror


 

Der Zuckerhut


 

Aufgewachsen bin ich in dem Gelsenkirchener Stadtteil Schalke, das durch seine Fußballmannschaft Schalke 04 weltberühmt ist. Am Schalker Markt, 2 Minuten von uns entfernt, lag das Vereinslokal der Königsblauen: Mutter Thiemeyer. 

Rund um den Schalker Markt gab es aber auch eine Menge Industrie, Eisenhütten mit Hochöfen, Kokereien, die durch ihren Feuerschein beim Abstich für Flieger deutlich zu erkennen waren. Wir Kinder schauten den rötlich angestrahlten Nachthimmel an und sagten: "Das Christkind backt Plätzchen." 

Einige km weiter waren Werke, die aus Kohle Treibstoff erzeugten, sog. Hydrierwerke, die "Gelsenberg-Benzin AG" und das Hydrierwerk Scholven. Alle stellten wichtige Produkte für die deutsche Rüstung her und waren deshalb immer wieder ein Ziel der Bombardements. Aus diesem Grunde war für die Menschen in unserer gefährdeten Gegend schon in den ersten Kriegsjahren auf dem Schalker Markt ein Bunker gebaut worden, der "Zuckerhut", der durch seine Form und sein Baumaterial (Eisenbeton) höchste Sicherheit bot... wenn man rechtzeitig hineinkam. Viele Male hat er uns das Leben gerettet. 



Foto oben: Im Abendsonnenschein, Marlies vor dem Zuckerhut


 

So rannte denn meine Mutter los, mit mir im Kinderwagen, der in der nächtlichen Stille laut über das Straßenpflaster ratterte. Viele andere Leute hasteten mit uns zum Bunker, wenn die Sirenen losheulten. Es gab verschiedene Signale für Voralarm, Vollalarm, Akute Gefahr, Gasangriff und Entwarnung. Noch heute befällt mich ein Schrecken, wenn ich Sirenengeheul höre. 


"Vergeltung spielte keine Rolle"

I
nterview mit dem Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller über Motive und Konzepte des britischen Flächenbombardements deutscher Städte http://www.zdf.de .

Mitunter wurden die Flächenbombardements des Bomber Command der britischen Royal Air Force als Vergeltungsmaßnahmen interpretiert. Würden Sie sagen, dass in der britischen Luftwaffenführung die Idee der Vergeltung eine Rolle spielte? 

Prof. Müller: Für das Bomber Command spielte Vergeltung gar keine Rolle. Die Protagonisten der Luftwaffenführung waren fest davon überzeugt, dass sie über eine Waffe verfügten, die im Stande war, den Krieg zu entscheiden. Durch einen strategischen Bombenkrieg gegen deutsche Ziele
sollte die deutsche Moral erschüttert, die deutsche Kriegsfähigkeit zerstört und somit blutige und langwierige Landschlachten verhindert werden.

Das war die Überzeugung und deswegen war man auch der Meinung, dass das Bombardement selbst dann fortgesetzt werden müsste, wenn die Deutschen morgen aufhören würden, britische Städte zu bombardieren. Eben weil man sich versprach, auf die Weise den Krieg rasch beenden zu können.

Hatte die Hinwendung zum Flächenbombardement nicht auch ganz praktische Gründe? Da die Royal Air Force nur nachts flog, verringerte sich auch die Zielgenauigkeit. Gab es unter diesen Umständen denn überhaupt eine Alternative zum Flächenbombardement?

Prof. Müller: Der strategische Bombenkrieg zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entwickelt sich in verschiedenen Etappen. Man probierte vieles aus und man musste die Erfahrung machen, dass Einzelangriffe wenig bewirkten. Eine Steigerung des Bombereinsatzes schien natürlich eine Möglichkeit zu sein. Aber das Grundproblem blieb bestehen: Aufgrund der starken deutschen Luftverteidigung konnten die Bomber nur nachts angreifen und in der Nacht war es schwierig, das Ziel auszumachen.

Aus dieser Schwäche wurde eine Tugend indem man Punktziele vernachlässigte und stattdessen eine Fläche anvisierte, markierte, ausleuchtete und die Bomber dann im Pulk ihre Ladung in diese Fläche abwerfen ließ. Daraus entwickelte sich allmählich während des Krieges ein mörderisches Konzept: Die Zahl der Brandbomben wurde erhöht, die Angriffswellen aufeinander abgestimmt und man fand Verfahren, um die feindliche Luftverteidigung abzulenken.

Welche Rolle spielte die Übernahme des Bomber Command durch Sir Arthur Harris? 
(»Viele Leute sagen, mit Bomben-Angriffen allein kann man niemals einen Krieg gewinnen. Nun, ich sage, es hat auch noch keiner versucht!« Luftmarschall Arthur Harris, Frühjahr 1942) 

Prof. Müller: Das war ein wichtiger Einschnitt. Arthur Harris setzte Anfang 1942 auf das Dehousing-Konzept. Das heißt, man erwartete nicht einfach, dass durch terroristische Angriffe die Moral der Bevölkerung zusammenbrach. Man hoffte darauf, dass sich in Deutschland wie 1918 eine
Revolution entwickelte, dass die Arbeiter sich zu einem politischen Umsturz bewegen lassen und die Nazis davonjagen würden.

Das Dehousing-Konzept sah vor, eine möglichst große, dicht bebaute Fläche unbenutzbar zu machen. Das zielte nicht auf die Tötung der Arbeiter, sondern auf die Zerstörung ihrer Wohnungen. Wenn die Arbeiter nach einem britischen Luftangriff in anderen Gegenden und Orten untergebracht werden mussten, provisorisch, womöglich in Zelten, dann konnten sie nicht an den Fließbändern der Fabriken arbeiten. Das ist sozusagen eine indirekte Strategie. Indem man die Häuser zerstörte
wollte man die Moral, aber auch die Arbeitsfähigkeit der Fabrikarbeiter treffen. (...)

Wie realistisch war es, zu glauben, man könnte in einem totalitären Staat wie Deutschland einen Aufstand gegen die Führung auslösen?

Prof. Müller: Wir wissen natürlich heute, dass die Aussichten, durch solche Bombenangriffe die Moral der Bevölkerung zu zerstören, gering gewesen sind. Die Möglichkeiten eines totalitären Regimes, die Moral der Bevölkerung zu beeinflussen, sind im Prinzip sogar größer als die in einer Demokratie. Das hat sich aber damals den Briten nicht unbedingt so aufgedrängt. Sie haben die Dinge sehr stark nach den Erfahrungen von 1918 beurteilt.

Auch während des Ersten Weltkrieges hat sich das Kaiserreich als geschlossene Heimatfront präsentiert und ist am Ende doch zusammengebrochen. Nichts wäre den Briten lieber gewesen als wenn die Deutschen zur Vernunft zurückgefunden hätten und 1942 oder 1943 durch ein Attentat auf Hitler den Krieg beendet hätten.


 

Ein Schrecken obendrein für mich waren die im Nachtschränkchen lauernden Gasmasken, die mich anglotzten wie Monster mit riesigen Augenhöhlen und aufgestülptem Rüssel. Ich war mir nicht sicher, was schrecklicher war: durch Giftgas zu sterben oder diese unheimliche Gasmaske aus schwarzem Gummi über den Kopf gezogen zu kriegen, mit Gewalt, denn sie umschloss den Schädel qualvoll eng. Und dann dieser widerliche Gummigeruch! Voller Furcht lauschte ich auf das Zeichen für Gasalarm, das zum Glück nie ertönt ist. Nicht immer konnte man sich auf diese Signale verlassen, manchmal überstürzten sich die Ereignisse, und die Bomben fielen schon bei der ersten Sirenenwarnung.



Fotos unten: Gasmasken des 2. Weltkriegs

 


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