Über die Arbeit und das Geld


Ein Allerheiligen-Brief aus dem Jahre 1906

Allerheiligen ist ein Tag, an dem nach altem Glauben die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten durchlässig wird, was man auch im angloamerikanischen Brauch des Halloween noch sieht. Ich meine, das merkt man diesem Brief an. Er ist gerichtet an Maria MARNACH, die Mutter der 5 MARNACH-Kinder. Ein sechstes Kind, der kleine Kurt, ist als Baby einige Jahre vorher gestorben; das Grab ist auf dem Aplerbecker Friedhof. - Es geht in dem Brief um Geburtstagsgeschenke und Geburtstagsfeiern - um einen gestrengen Herrn Papa - um einen Grabkranz und um Reibekuchen - um den pünktlichen Besuch der Allerheiligen-Messe - um Hühner, die in den Garten spazieren - um die Köchin Hedwig und um Küchenlatein - um einen abendlichen Gang zum Friedhof - um den verfressenen Terrier Schnipp, der schreiben kann - und vieles mehr. Maria ist zu Besuch bei Verwandten, vielleicht ein bißchen in Sorge, was ihre Lieben zu Hause so treiben. Es ist amüsant zu lesen, wie die Kinder alles tun, um die Mutter liebevoll zu beruhigen und ihr zu sagen: Wir sind brav!

Den Brief beginnt Ernst, der am Allerheiligentag Geburtstag hat: er wird 16 Jahre.


 

Aplerbeck, den 1/XI 06

Liebe Mama,

Ich danke Dir herzlich für die schönen Geschenke. Du hast genau gewußt, was ich gern hatte. Der Kranz ist schon gestern bestellt worden und wir gehen heute Abend alle zum Grab. Es geht uns noch allen gut. Martha und Heinz üben tüchtig für die Schule, und Max sieht jeden Abend unsere Sachen nach. Ich will nicht zu viel schreiben, weil die anderen sich sonst beschweren, daß sie keinen Platz hätten.

Herzl. Grüße. Ernst

 


Max ist der Älteste, 19 Jahre. Man beachte den 'coolen' Stil und die lässigen Abkürzungen!


 

L. Mama!

Komme gerade aus der Kirche und schon wurde ich aufgefordert dir einige Zeilen zu schreiben.

In Betreff des Zufriedenstellens des Herrn Papa, darfst Du Dich beruhigen. Ich bin jeden Abend pünktlich zu Haus und noch nicht wieder ausgewesen, obwohl hier ein enorm öder Betrieb herrscht. Hedwigs Kochkunst läßt im Übrigen nichts zu wünschen übrig. Du darfst mithin ruhig noch ein halbes Jahr aus bleiben, ohne daß Deine Abwesenheit von unserem Magen übel genommen wird. Alles brüllt schon jetzt mach aber "Schluß". Ich komme dem allgemeinen Wunsche nach und bin ich mit herzl. Grüßen dein Filius Max

 


Es folgen die 2 "Kleinen": Heinz, der jüngste Sohn (14 Jahre) und Martha, das einzige Mädchen (12 Jahre). Auch Heinz rühmt die Künste der Reibekuchen backenden Köchin Hedwig.


 

Liebe Mama,

Ich bin jetzt an der Reihe. Ich bin Sonntag von Fritz Möller zur Geburtstagsfeier eingeladen. Papa hat mir hierzu die Erlaubnis gegeben. Die Reibekuchen, die Hedwig uns backt, schmeken schön. Hoffentlich geht es dir gut. Grüße bitte Langes von uns. Um Paul noch zum Schreiben Platz zu lassen, will ich hier mit Schluß machen. Mit herzlichem Gruß verbleibe ich

dein canisius und filius Heinz


Heinz verwendet hier die Formel "dein canisius (canis, lat. = Hund) und filius" sicher wegen des lustigen Klanges, der an Wissenschaft, auch an Küchenlatein denken läßt, und evtl. wegen des Nebensinns "dein Sohn, folgsam wie ein Hündchen".


 

Herzlichen Gruß und Kuß

deine Tochter Martha.

Hedwig läßt dich auch grüßen.


Paul (17 Jahre) ist der große Tiernarr der Familie. Sein Liebling "Schnipp" ist ein Foxterrier, einer in der langen Reihe von Hunden der Marnachs. Sie hießen Schnipp, Trapp oder Waldmann, oder Murphi.


 

Ich bin Dienstag mit Papas Erlaubnis zum Olympia gewesen. Es wurde dort eine großartige Foxendressur vorgeführt, mit der Schnipp nicht konkurieren konnte. Heute auf Aller Heiligen sind wir alle 1/2 8 pünktlich zur Messe gewesen. Ich lasse die Hühner jetzt in den Garten spazieren, weil sie nicht mehr viel Gemüse und Obst abfressen können. Die besten Grüße an Papa Lange und Familie Schmidt, verbleibe ich

Dein innigstgeliebter Sohn Paul

 


Und nun hat Paul seinem Terrier Schnipp die Pfote geführt.


 

Schnipp geht es ganz gut, er isst noch immer sehr viel. Schnipp

 


Ganz zum Schluß beteuert auch der gestresste Vater und Ehemann Heinrich:


 

Sonst ist alles in bester Ordnung. Herzliche Grüße, Heinrich

 


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