Im Umland der Hütte


 

Das erste Jahr in Aplerbeck

Haus an der Köln-Berliner-Straße 28 in Aplerbeck - Foto aus: Noczynski: 100 Jahre Straßenbahnen. Aplerbecker Geschichtsverein e.V., 1998

Foto: 
Hier wohnen die Marnachs 1895
(Haus mit Markise):
Köln-Berliner-Str. 28

 

"Bei der Übersiedlung (1895) der Familie von Dortmund nach Aplerbeck (~7000 Einw.) ist die auf dem Werksgelände der Hütte gelegene Dienstwohnung noch nicht frei. Die 7-köpfige Familie, Heinrich, Maria, 5 Kinder zwischen 7-1 Jahren (Max, Paul, Ernst, Heinz, Martha) wohnt also zuerst in einem Mietshaus des Herrn RIESE in der Köln-Berliner-Straße, mitten im Dorf, auf dem Gelände des berüchtigten Märtmannshof. Die Nachbarhäuser neben dem von der Familie gemieteten Haus in der Köln-Berliner-Straße 28 gehören dem Arzt Dr. LINDT und auf der anderen Seite Apotheker LEUNENSCHLOß. [Dort ist auch heute noch eine Apotheke: die Adler-Apotheke, im Erdgeschoß des Hauses Köln-Berliner-Straße 28 selbst ist das Warenhaus Urban.]

Foto: Zimmer um 1900, http://www.daserste.de/abenteuer1900 




 

"Auf dem Märtmannshof oder auch Mordmannshof in Aplerbeck sollen am 2. und 3. Tage des Weinmonats (Oktober) im Jahre 693 n.Chr. die beiden Ewalde, der weiße und der schwarze, erschlagen worden sein. So berichtet der angelsächsische Kleriker BEDA (673-735). Die älteste historische Angabe darüber findet sich im Kalender der Echternacher Benediktiner-Abtei des Briten Willibrord aus dem Jahre 721: 'Natale sanctorum martyrum heualdi et heualdi.' Willibrord.Cal 12 (4. October: The death of the holy martyrs Hewald and Hewald.


Nach einer alten Prophezeiung soll kein männlicher Erbe auf diesem Hof groß werden. Die im Obligationsbuch des Hauses RODENBERG festgehaltene Ahnenreihe beweist tatsächlich das frühe Sterben aller männlichen Erben auf dem Märtmannshof durch 3 Jahrhunderte." Die Hofstätte des untergegangenen Märtmannshof liegt mitten in Aplerbeck. Neben GRÜGELSIEPE und VIESELER - an den Namen erinnert noch die Vieselerhofstraße - gehörte sie zu den 3 größten Höfen des Dorfes. Bis zu seinem Abbruch nannten die Leute den Hof nur Mordmannshof oder Märtmannshof. Heute erinnern die "Weiße-Ewald-Straße", die "Schwarze-Ewald-Straße" und die "Märtmannstraße" in Dortmund-Aplerbeck an dieses Ereignis. Auf dem Marktplatz steht das Denkmal der Heiligen. 

Die MARNACH-Kinder sind von dieser Geschichte tief beeindruckt. Wenn ihr Weg sie an der Stelle vorbeiführt, wo die Bluttat sich möglicherweise ereignete, und es ist obendrein noch ein trüber Wintermorgen oder in der Abenddämmerung, sind sie voller Furcht und rennen hastig weiter. 

Der weiße und der schwarze Ewald , Foto: Franz Goschi



Die Legende vom schwarzen und vom weißen Ewald

gehört zu den frühesten Nachrichten, die aus dem Gebiet des Emscherdorfes Aplerbeck = Afaldrabechi  bekannt sind, um 700  n. Chr.

Unter den ersten christlichen Missionaren, die in die Gegend von Dortmund kamen, waren zwei von den Britischen Inseln stammende Mönche. Sie hießen beide Ewald (angelsächsisch Hewald). Da der eine von ihnen schwarzes Haar hatte, der andere weißes, nannte man sie den schwarzen und den weißen Ewald. Sie kamen nach Aplerbeck und nahmen bei einem Bauern Quartier. Bei ihrem Wirken  stießen sie auf heftigen Widerstand. Die Männer des Dorfes, die standhaft an ihrem alten Glauben festhielten, wollten vom Gott der Christen nichts wissen. Deshalb  erzwangen sie sich eines Tages den Zutritt in das Bauernhaus und überfielen die beiden Glaubensboten. Der weiße Ewald starb sofort unter den Hieben der wütenden Bauern, während es dem schwarzen Ewald gelang, nach draußen zu entkommen. Dort ergriffen ihn seine Verfolger.

Die Frauen des Hofes, die gerade den Flachs brachen, hörten den Lärm und liefen eilig  herbei. Vergeblich flehten sie die rasenden Männer an, den schwarzen Ewald zu verschonen. Sie mussten hilflos zusehen, wie auch er erbarmungslos totgeschlagen wurde, mit schweren Flachsbraken (ein massives Holzgerät  zum  Knicken und Brechen der harten Stiele der Flachspflanzen, Foto rechts). Die Leichen der beiden Märtyrer sollen über Potthoffs Grund geschleppt und in die Emscher geworfen worden sein. Dort fällt seitdem weder Tau noch Regen. Sterbend soll der  Schwarze Ewald noch einen Segen über die Frauen des Hofes  gesprochen haben. Die  Männer verfluchte er:  auf  jenem Hof solle niemals mehr ein männlicher Erbe als Hofherr schalten und walten. 
Die Sage erzählt, dass von diesem Tage an tatsächlich ein Fluch auf dem Hofe gelegen habe. Es lässt sich nachweisen, dass seit 1695 der Hof nur in weiblicher Linie vererbt wurde, weil alle Söhne eines frühen Todes starben. - 

Man muss beiden Seiten Respekt entgegenbringen: den Mönchen, die gefahrvolle  Reisen auf sich nahmen und ihre ganze Kraft einsetzten, um das Evangelium zu verkünden, ebenso wie den westfälischen  Bauern, die tragischerweise zwei Morde begingen, um ihren alten Göttern die Treue halten zu können: Odin (Wotan), Donar (Thor) und Freya sind die bekanntesten Namen. Einige haben sich auch in unseren heutigen Wochentagsnamen erhalten .

- Dienstag  -  engl. Tuesday, nach Rechts- & Kriegsgott Tyr  benannt.
- Mittwoch - engl. Wednesday, Wotans Tag.  
 - Donnerstag- Tag des Donar, Donnergott, 
- Freitag - Tag der Freya, Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit.

 



Das Wilde Heer

Das Wilde Heer ist im Volksglauben das Heer der verstorbenen Ahnen, ein Totenheer, geführt vom mächtigsten der germanischen Götter, von Wotan/Odin. Vor allem im Wintersturm, in den heiligen zwölf Nächten, braust das Geisterheer unter ungeheurem Tosen durch die Luft, unter Jagdrufen und Hundegebell, Schrecken und Unheil bei Mensch und Tier verbreitend. Die Vorstellung, dass die Wilde Jagd von einem Berg auszieht und wieder in einen Berg hineinfährt, geht auf die alte germanische Vorstellung eines Totenreiches im Berge zurück. Es sind alte Totenberge, aus denen die Scharen der Seelen hervorbrechen und in die sie zurück kehren.

Im Volksglauben und Brauchtum ist der Zeitraum zwischen Weihnachten und Dreikönigstag mit der Bezeichnung „Zwölfnächte“ oder „Raunächte“ besonders hervorgehoben. Dann sauste die Wilde Jagd durch die Lüfte, die Seelen Verstorbener erschienen und künftiges Geschehen wird im Traum sichtbar. Das noch heute übliche Beräuchern und Weihen der Häuser mit Gebeten und Liedern im Zusammenhang mit den Sternsingern am Dreikönigstag geht direkt auf diesen Glauben zurück, der seine Wurzeln in vorchristlicher Zeit hat.


Sie meinen, dies wären alles längst vergangene Geschichten?
Es  hielt sich die Erinnerung an Wotan/Odin auch in Legenden und Märchen. Noch heute finden sich zahlreiche Ortsbezeichnungen, die auf Odin verweisen: unter anderem Wodenesberg, Godesberg, Wodensbolt oder das Odinsthal. Oder es seien Ammenmärchen? Warum sitzen wir dann verzückt im Film „Herr der Ringe“? Oder lesen gerne irgendwelchen Fantasykram? Oder besiegen an unserem PC ganze Scharen von Orks und Außerirdischen? So ganz aus der Welt sind die Dinge eben doch nicht – sie wurzeln noch tief in unseren Ahnungen und Träumen
(nach http://www.landesvertretung.saarland.de )



Münchener Nachtsegen (14. Jhd.), mittelhochdeutsch

Wutanes her und alle sîne man,
di di reder und di wit tragen
geradebreht und erhangen,
ir sult von hinnen gangen.


Wotans Heer und alle seine Leute,
die Räder tragen und Weidenzweige,
durch Rädern oder Hängen hingerichtet,
ihr sollt hier weg, von hinnen ziehn!

wit  = Weidenzweige, Strang aus gedrehten Baumzweigen zum Binden und Hängen
geradebreht = aufs Rad flechten und mit dem Rade zerbrechen, die Todesstrafe

 




 

 

 


Am Oberlauf der Emscher,

Foto (bearbeitet):  

Vieselerhofstraße, Dortmund-Aplerbeck, nahe der B 234/Köln-Berliner Straße.  

http://www.route-industriekultur.de

 



Der Name des Flusses Emscher 

Das Wort amb (gall.)  bedeutet Fluss, isca bedeutet Wasser, mittelirisch esc = 'Wasser 
-  deshalb bei den Inselkelten Esk (schott.) - Exe in Exeter/Devon - Usk in Wales 
-  bei den Festlandkelten Ischa (lux.) - Isch (Elsass) 

- Amb-isc-ara = Emscher
(vergl. Paul Derks, Die Siedlungsnamen in Aplerbeck.) 

Zwar haben im altwestfälischen Raum niemals Kelten gesiedelt, doch bezogen sowohl die keltischen wie auch die germanischen und vorgermanischen Sprachen ihr Material aus dem gemeinsamen europäischen Bestand.

Die einheitliche Benennung eines Flusses entstand meist erst dann aus mehreren verschiedenen Teilnamen, sobald man sich klar wurde, dass es sich um denselben Wasserlauf handelte. Um das zu bemerken, mussten die Menschen schon beweglicher geworden sein und Wanderungen und Reisen unternehmen. In dem alten Namen Apelderbeke für Aplerbeck - 1200, Apelderbeke, Apelder= Apfelbaum,  beke=Bach -  wird die Emscher einfach beke - Bach genannt. Dann findet sich 1338 in einem Dortmunder Dokument der Name Emscher als Ymesschare. 


 

In der Köln-Berliner Straße in Aplerbeck wohnte die Marnach-Familie ein Jahr lang, und die Marnach-Kinder fürchteten sich vor den alten grausamen Geschichten, die sich hier vor langer Zeit  auf dem Grund des Märtmannhofs und an der Emscher zugetragen hatten.

 


 

 

Weihnachten vor 100 Jahren

 

Oben: Der Vater (oder Großvater?) kehrt vom weihnachtlichen Kirchgang heim 
(aus "5.000 Postkarten aus der Zeit um 1900" von The Yorck Project) 

 



 

Es sind im heutigen Nordrhein-Westfalen vor allem die evangelischen Christen, die den Christbaum zuerst aufstellen (um 1750 im Siegerland, 1834 in Hagen, 1855 bei Dortmund), wozu insbesondere auch die preußischen Beamten beitragen.  

Die Katholiken übernehmen den Brauch erst ein bis zwei Generationen später als die evangelischen Christen, und zwar zunächst die Oberschichten. Die Marnachs gehören in Aplerbeck zwar zu der katholischen Minderheit, haben aber schon um 1900 einen geschmückten Weihnachtsbaum, wie wir auf dem Foto sehen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) hält der Baum auch seinen allgemeinen Einzug in den „guten Stuben“ der Bevölkerung.

Nach Prof. Dr. Wilhelm Damberg, 
Katholisch-Theologische Fakultät der RUB

 

 

Foto: Heinz und Martha Marnach, Weihnachten 1904
Die Geschwister sind auch auf der Titelseite dieser Geschichte zu sehen!

 


 

 

Meine email-Freundin Helga aus Kanada meint zu dem  Foto oben:

"Your Granny must have also been well off [rich] to be able to buy a Christmas tree plus all the decorations!"

 


5,60 Mark (etwa 1 Wochenlohn) kosteten

320 Stück Christbaumschmuck wie 
übersponnene Kugeln, Glocken, Trompeten, 
Engel mit Frisur und beweglichen Glasflügeln
(!) 
und vieles mehr. 

Dazu gab es obendrein 
ein Fischglas mit beweglichen Goldfischen gratis!

... von dem 
Lieferanten für fürstliche Höfe, 
der Hunderte von Dankschreiben bekam!

Lang, lang ist's her!

 


Abb links aus.: Dieses Jahr schenken wir uns nichts... Klartext Verlag

 


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